Gesundheit und Medizin (Health and Medicine DE)
Wie viel Chemie steckt in meinem Naturprodukt?

Wie viel Chemie steckt in meinem Naturprodukt?

Zusammenfassung:

  • Chemisch ist kein Synonym für synthetisch, sondern für alles, was aus chemischen Elementen besteht.
  • Weder synthetische noch natürliche Substanzen sind per Definition gut oder schlecht für unsere Gesundheit.
  • Bei jeder Substanz machen die Chemie sowie die Aufnahmemengen den Unterschied.
How much chemistry does my natural product contain?

In der Werbung für einen Fruchtsaft, die kürzlich in den sozialen Medien gepostet wurde, heisst es: „ohne Zusatz von Farbstoffen, Konservierungsmitteln, Zucker und Ascorbinsäure“.

Wenn wir „Finde den Eindringling“ als Spiel spielen würden, was würden Sie aus der obigen Liste herausnehmen?

Ascorbinsäure (besser bekannt als Vitamin C) ist eine natürliche Substanz und ist von sich aus in frischen Lebensmitteln, insbesondere in Obst und Gemüse, vorhanden [1, 2]. Das bedeutet, dass es nicht notwendig ist, es dem Fruchtsaft hinzuzufügen, der es (wenn er frisch hergestellt wurde) höchstwahrscheinlich bereits enthält!

Die Aufnahme von Ascorbinsäure in eine Liste „unerwünschter“ Inhaltsstoffe ist irreführend und zeigt deutlich ein verbreitetes Missverständnis. Es ist mit der Vorstellung verbunden, dass chemische Substanzen (insbesondere wenn sie mit ihrem technischen Namen angegeben werden) per Definition schlecht für unsere Gesundheit sind. Hinzu kommt, dass das Wort chemisch oft fälschlicherweise als Synonym für synthetisch verwendet wird.

Der Zweck dieses Artikels ist es, den Laien-LeserInnen die „chemische Seite“ von häufig verwendeten oder konsumierten Substanzen näher zu bringen, mit dem letztendlichen Ziel, das Bewusstsein zu erhöhen und hoffentlich zu helfen, allgemein verbreitete Missverständnisse zu entmystifizieren.

Wir können damit beginnen, die Bedeutung von häufig verwendeten Begriffen zu klären. Schauen wir uns die ersten Definitionen der oben genannten Wörter „chemisch„, „synthetisch“ und „natürlich“ aus dem Oxford-Wörterbuch [3] an, so finden wir:

–   Chemisch, „mit Chemie verbunden“

–   Synthetisch, „künstlich; durch die Kombination chemischer Substanzen hergestellt, anstatt auf natürliche Weise von Pflanzen oder Tieren produziert zu werden“

–   Natürlich, „in der Natur vorhanden; nicht vom Menschen gemacht oder verursacht“

 Der Definition nach ist eine Chemikalie also alles, was aus chemischen Elementen besteht. Weiterhin ist hier zu erwähnen, dass einige Naturstoffe zu den stärksten heute bekannten Giften zählen, gute Beispiele sind das Botulinumtoxin [4] oder die Blausäure [5, 6]. Andererseits sind eine natürliche Substanz und ihr synthetisches Gegenstück zu 100 % gleichwertig [7]. Im letzteren Fall wird der Stoff durch eine Reihe von chemischen Reaktionen synthetisiert, während er im ersteren Fall durch chemische und/oder mechanische Schritte aus seiner natürlichen Quelle extrahiert wird.

Daher macht nichts ein natürliches Molekül per se „gut“ oder „schlecht“, und dasselbe gilt für synthetische: trivialerweise kommt es in beiden Fällen auf ihre Chemie an. Zum Beispiel ist die überwiegende Mehrheit der kommerziellen Medikamente synthetisch, obwohl einige von ihnen einen natürlichen Ursprung haben können. Dies ist der Fall bei der sehr bekannten Acetylsalicylsäure (Aspirin) [8], die ausgehend von dem natürlichen Molekül Salicylsäure [9] [10] entdeckt wurde.

Nehmen wir zwei der oben genannten Naturstoffe wieder auf: Vitamin C und Blausäure (HCN) sind Beispiele für kleine Moleküle, die beide in häufig verzehrten Lebensmitteln vorkommen und gleichzeitig außerordentlich unterschiedliche Wirkungen auf unsere Gesundheit ausüben. Tatsächlich enthalten süsse Mandeln durchschnittlich 25 mg/Kg HCN [11], dessen akute orale tödliche Dosis für den Menschen mit 0,5 bis 3,5 mg/Kg Körpergewicht angegeben wird [11, 5]. Sogar das „gesunde“ Vitamin C selbst kann, wenn es in hohen Mengen (mehr als 1 g pro Tag) eingenommen wird, zu Nebenwirkungen wie Durchfall, Magenschmerzen und Blähungen führen [12]. Dies führt den Gedanken ein, dass neben der Chemie auch die Einnahmemengen (bei fast jeder Substanz) den Unterschied ausmachen.

Um die ursprüngliche Frage zu beantworten: Alle natürlichen Produkte enthalten Chemie, da sie aus chemischen Elementen zusammengesetzt sind. Sowohl natürliche als auch synthetische Moleküle können sich positiv oder negativ auf unsere Gesundheit auswirken, was sowohl von ihrer chemischen Zusammensetzung als auch von der konsumierten Menge abhängt – ein Thema, das wir in unseren nächsten Ausgaben genauer untersuchen werden, bleiben Sie dran!

Quellen:

  1. “EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA); Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to vitamin C and protection of DNA, proteins and lipids from oxidative damage (ID 129, 138, 143, 148), antioxidant function of lutein (ID 146), maintenance of vision (ID 141, 142), collagen formation (ID 130, 131, 136, 137, 149), function of the nervous system (ID 133), function of the immune system (ID 134), function of the immune system during and after extreme physical exercise (ID 144), non-haem iron absorption (ID 132, 147), energy- yielding metabolism (ID 135), and relief in case of irritation in the upper respiratory tract (ID 1714, 1715) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006 on request from the European Commission”, EFSA Journal (2009)
  2.  Harri Hemilä “Vitamin C and Infections” Nutrients (2017)
  3. https://www.oxfordlearnersdictionaries.com/
  4. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/botulism
  5. “Opinion of the Scientific Panel on Contaminants in the Food chain on a request from the European Commission on ethyl carbamate and hydrocyanic acid in food and beverages”, The EFSA Journal (2007)
  6.  WHO, “Cyanogenic glycosides (Who Food Additives Series 30)”, http://www.inchem.org, 2012
  7. Penny Le Couteur, Jay Burreson “Napoleon’s buttons: 17 molecules that changed history” (ISBN 1-58542-331-9)
  8. https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compound/Aspirin
  9. Maria Rosa Montinari, Sergio Minelli, Raffaele De Caterina „The first 3500 years of aspirin history from its roots – A concise summary“ Vascular Pharmacology (2019)
  10. Jing Bo Jin, Bin Cai, Jian-Min Zhou „8 – Salicylic acid“ Hormone Metabolism and Signaling in Plants, Academic Press (2017) Pages 273-289 (ISBN 9780128115626) (https://doi.org/10.1016/B978-0-12-811562-6.00008-6)
  11. Nadia Chaouali, Ines Gana, Amira Dorra, Fathia Khelifi, Anouer Nouioui, Wafa Masri, Ines Belwaer, Hayet Ghorbel, Abderazzek Hedhili, „Potential Toxic Levels of Cyanide in Almonds (Prunus amygdalus), Apricot Kernels (Prunus armeniaca), and Almond Syrup“ International Scholarly Research Notices (2013)
  12. https://www.nhs.uk/conditions/vitamins-and-minerals/vitamin-c/